Eine Famulatur im Bolivian Style
März 2015
Nach monatelanger Vorbereitung voll froher Erwartungen und spanischintensiven Lerneinheiten, erreichten wir am Samstag, den 07. März 2015 die erste Etappe unserer Abenteuerreise in Bolivien: Santa Cruz. Dort trafen wir auf Ricarda, die uns als Zahnärztin mit Rat und Tat zur Seite stand. Angekommen im kleinen Hotel Copacabana lernten wir sogleich Max Steiner, Leiter von Hostelling International Bolivia, und seine Mitarbeiterin Nazira kennen und besprachen die Planung für die folgenden 2 Tage. Gleich am Sonntag ging es für uns in eins der umliegenden Kinderheime, den Hogar Santa Cruz, in dem wir als erste Delegation die Situation und den Zustand der zahnärztlichen Einheit erkundschaftet haben. Wir machten uns sofort an die Arbeit und nach Befundaufnahme von 66 Kindern aus dem Heim wurde schnell klar, dass der Bedarf an zahnmedizinischer Versorgung sehr hoch ist (allein im Umkreis sind es unter Einbezug der anderen Heime um die 3000 Kinder). Wichtig war für uns, festzustellen, dass die Einheit funktionsfähig ist und damit definitv in Zukunft in Santa Cruz ein zweiter Standpunkt für Dentists and Friends aufgebaut werden könnte.
Anschließend begaben wir uns auf eine landschaftlich wunderschöne Rundreise durch Bolivien: Sucre, Potosi, Uyuni und die bolivianische Millionenmetropole La Paz. Die wohl beeindruckendste und atemberaubendste Erfahrung war unsere 3-tägige Jeeptour durch die Salzwüste samt Übernachtung im Salzhotel, grünen und roten Seen, Geysiren, heißen Quellen und Höhenmetern, bei denen man froh ist überhaupt noch Luft zu bekommen (Saroji und Coca heißt hier das Zaubermittel). Auch ein Abenteuer für sich ist die Nachtbusfahrt von Uyuni nach La Paz, bei der man wortwörtlich 8 Stunden lang über Stock und Stein durchgerüttelt wird.
2 Tage später und einen Besuch reicher in dem bestens strukturierten Dentallabor La Paz’s, das doch eher einem Trödelmarkt aus medizinischen Geräten gleicht, ging es für uns dann endlich noch ein wenig höher Richtung Titicacasee und der Isla del Sol. Ab Copacabana hieß es dann Boot fahren mit gefühlten 5 Km/h und 50 Insulanern mit ordentlich Gepäck im Schlepptau. Am Strand von Challapampa von Schweinen begrüßt marschierten wir zu unserem Hostel, welches direkt am Wasser lag und wurden von Nelson und 3 Voluntarios (Jakob, Hanna und Maddy) in Empfang genommen.
Über eine eigens gebaute Holztreppe gelangte man in unser Zimmer mit direktem Blick aufs herrliche Blau des Sees. Die kleine Küche wurde stets zum Wasserkochen für Tee benutzt und im Commodor gab es dann die typischen bolivianischen Mahlzeiten, die sehr reichlich aber doch recht einseitig sind. Kartoffeln und Reis in Kombination sind sozusagen Bestandteile jedes Gerichtes. Was das Frühstück anbelangt, hatten wir das Glück, dass Nelson dies nach unseren Wünschen zusammenstellte (bolivianischer Standard ist nämlich Tee und Brot mit Marmelade). Die Insel ist wirklich das, was man sich unter einer Idylle vorstellt: Ohne Handys könnte man sich ins 18.Jahrhundert zurückversetzt fühlen. Das Leben im kleinen Paradies ist einfach und hart, aber dafür ruhig und beschaulich. Hier hat man wirklich Zeit einfach mal den Kopf auszuschalten und Natur in seiner schönsten Form zu genießen: Schweine suhlen sich im Sand des Strandes und täglich ziehen an der Tür des Consultorios Schafe, Lämmer und Esel vorbei auf dem Weg zum Feld. Morgens weckt der hosteleigene Esel Pepe einen mit seinem Geschrei, welches doch eher einer quietschenden Tür ähnelt als einem Tiergeräusch.
Unser Arbeitsalltag begann täglich um 8:30, unterbrochen von einer ausreichenden Mittagspause und endete laut Plan um 18:00 Uhr, wobei wir nicht selten auch länger blieben, wenn es nötig war. Vormittags hatten wir viel Zeit Karten zu spielen oder unsere Spanischkenntnisse zu vertiefen, da die Kinder in der Schule waren und die Erwachsenen auf dem Feld arbeiteten. Dafür war nachmittags umso mehr los und innerhalb der zweieinhalb Wochen stürmten uns die Kinder alltäglich nachmittags das Consultorio. Jeweils einer war immer für die Unterhaltung der liebenswürdigen Meute zuständig. Das Spektrum unserer Patienten reichte vom 3-jährigen kleinen Kind bis zu den älteren Einwohnern der Insel, wobei wir schnell feststellten, dass besonders die Jüngsten die Mutigsten waren und bolivianische Kinder alles andere als weinerlich sind. Unsere kleine Praxis oben auf dem Berg am Marktplatz hatte alles zu bieten was man sich von einer modernen Einheit wünschen kann (sogar eine Intraoralkamera), aber dank des mysteriösen Technikers, der angeblich regelmäßig da ist aber nie gesehen wart, geben die technischen Geräte nach und nach ihren Geist auf. Mit aufgewecktem Verstand und einer großen Portion Improvisationstalent ist jede Situation abgesehen der Wurzelkanalbehandlung zu meistern. Neben unserer Arbeit im Consultorio waren wir jeweils abwechselnd in der Schule und haben mit Spiel&Spaß den Kindern Geschichten über die Animalitos negros erzählt, die Zähne geputzt und anschließend flouridiert. Durch die Sachspenden von HI und D&F war es uns möglich, jedem Kind eine Zahnbürste und eine Zahnpasta zu schenken. Nicht selten bekamen die Kinder so zum ersten Mal überhaupt eine Zahnbürste. So viel Spaß wie wir hatten, wurde uns jedoch durch die Arbeit in der Schule erst das Ausmaß der Zustände wirklich bewusst: Bei der Nachkontrolle des Putzens und der Flouridierung waren wir nicht selten sehr schockiert und es gab auch kaum ein Kind das nicht angab Zahnschmerzen zu haben (vielfach Nachtschmerz). Wir haben versucht, die Kinder dann jeweils zu uns zu schicken nachmittags, damit wir ihnen helfen können. Dadurch ergab sich logischerweise, dass die Vielzahl unserer Patienten aus Kindern bestand.
Neben dem Arbeiten haben wir eins ganz deutlich gemerkt: die Bolivianer lassen keine einzige Gelegenheit aus ordentlich zu feiern und bis in die späte Nacht zu trinken und zu tanzen. Durch das Schulfest und das Erntedankfest durften wir dies am eigenen Leib miterleben. Bier und Schnaps wird brüder- und schwesterlich geteilt (aus ein und demselben Becher) und wehe demjenigen, der zuvor nicht ein Tropfen an Pachamama opfert (Kultur und Tradition wird in Bolivien eben noch sehr groß geschrieben). Wir hatten das Glück traditionelle Tänze zu beobachten und wurden abschließend sogar selber zum Tanzen aufgefordert und durften sogar den in die traditionell bunten Tücher gewickelten Mais zu unserem Hostel tragen. Immer mit von der Partie waren dabei auch unsere Voluntarios, welche wir wirklich dafür bewunderten, dass sie ein ganzes Jahr auf der Insel bleiben.
An den Wochenenden, wenn wir nicht gearbeitet haben, fuhren wir entweder mit dem Boot nach Copacabana, um mal wieder mit mehr oder weniger gutem Internet Kontakt mit unseren Lieben aufzunehmen oder wir blieben auf der Insel und erkundeten per Fuß den Incatrail. Man muss wirklich sagen, dass die Landschaft und die Ausblicke die man auf den Bergkuppen der Insel genießt beinahe unbeschreiblich sind. Wenn wir eins im Überfluss haben, dann wohl Tierfotos in der wunderschön grünen Landschaft der Insel mit dem weiten Blick auf das ungreifbare Blau des Wassers und des Himmels, das bei bestem Wetter noch mit den Gletscherkuppen Boliviens 6000m hohen Berge gekrönt wurde.
Im Großen und Ganzen haben wir fachlich und menschlich mehr dazu gelernt, als wir uns jemals vorgestellt hätten. Natürlich ist einem als Deutscher die bolivianische Lebensart etwas fremd, aber mit einer gewissen Portion Gelassenheit lernt man den Bolivian Way of Life auch sehr zu schätzen und nimmt wahr, wieviel unnötigen Stress man sich oft in Deutschland macht. Sehr genossen haben wir, dass wir das erste Mal komplett frei entscheiden und behandeln durften und dabei gelernt haben, wo man mit seinen fachlichen Kompetenzen steht. Extraktionen und die Behandlung sowie der Umgang mit den Kindern waren für uns eine Bereicherung, die uns in Zukunft sicherlich noch von Nutzen sein wird. Ein großes Dankeschön geht an Annette von D&F und Max von HI Bolivia, die uns so viel zur Seite standen und uns immer wenn nötig geholfen haben sowie natürlich auch an Ricarda für ihre unendliche Geduld und ihre fachliche Kompetenz wann immer wir an unsere Grenzen gestoßen sind.
Hasta la Vista!
Lorena Gerlach, Koralie Fremerey & Ricarda Gerlach
Bei Fragen zu unserer Famulatur könnt ihr euch natürlich gerne bei uns melden: