Ein Famulaturbericht von Lea, Eva und Joshua
Nachdem ich eigentlich schon 2020 nach meinem Examen einen Einsatz im Ausland geplant hatte, wollte ich das nun endlich umsetzten. Ich hatte nach dem Examen knapp zwei Jahre an meiner experimentellen Doktorarbeit gearbeitet und noch keine Berufserfahrung. Im Dezember 2021 schrieb ich verschiedene Projekte an und bekam unter anderem von Annette von Dentists & friends die Rückmeldung, dass 2022 wieder Teams nach Bolivien geschickt würden. Mitte Januar bekam ich dann die »feste« Zusage (immer unter Vorbehalt, dass sich durch Corona doch noch etwas ändern könnte), dass ich mit einem Team im Juni nach Bolivien fahren könne. Ende Januar erfuhr ich dann, dass ich zusammen mit Eva und Joshua in einem Team sein würde. Eva ist auch approbierte Zahnärztin und hatte bereits 2 Jahre Berufserfahrung und außerdem an Projekten in Peru und auf den Seychellen teilgenommen. Joshua ist ausgebildeter Krankenpfleger und stand uns als Assistenz zur Seite. Wir trafen uns einmal vorher zu einem Zoom-Meeting im April mit Annette, um alles zu besprechen. Alles Weitere klärten wir per Mail. Annette war immer gut erreichbar und schickte uns einige hilfreiche Dokumente in Voraus.
Da wir mit der Organisation von Spenden etwas spät dran waren, bekamen wir von vielen Dentalfirmen eine Absage. Ein großer Dank geht aber an die Firma Kulzer, die uns mit Kompositen und Anästhetika ausstattete, und an Mundwerk Zahnarztpraxis Carina Sell und die Zahnarztpraxis Tussing in Gießen, die uns ebenfalls sehr kurzfristig mit vielen hilfreichen Materialien unterstützten.
Am 1. Juni ging es für mich schon los nach Bolivien, wo ich zunächst eine zweiwöchige Rundreise zu den größten Sehenswürdigkeiten Boliviens machte (Sucre, Potosí, Salar de Uyuni, La Paz, Titicacasee, Pampas Amazonicas). Die Rundreise wurde von Hostelling Bolivia organisiert, mit denen Dentists & friends vor Ort zusammenarbeitet. Die Reise wurde sehr individuell von Viktor für uns zusammengestellt und wir hatten in jeder Stadt einen Ansprechpartner und fühlten uns fast immer gut aufgehoben.
Nach zwei Wochen Rundreise durch Bolivien flog ich nach Santa Cruz, um dort Eva und Joshua zu treffen. Wir wurden durch Hostelling Bolivia vom Flughafen abholt und in die Unterkunft gebracht. Nacira, die dort für die Organisation verantwortlich war und Deutsch spricht, empfing uns und zeigte uns unsere Zimmer. Die Unterkunft war sehr groß, wir hatten eine Gemeinschaftsküche, die wir uns mit den anderen Volunteers aus Deutschland teilten, und unsere Zimmer waren super ausgestattet mit Klimaanlage, eigenem Bad und WLAN. Am nächsten Tag fuhren wir mit Nacira in die Plataforma solidaria (eine Betreuung für Kinder verschiedenster Altersgruppen) und schauten uns die Einheit und die Materialien in dem winzigen Behandlungsraum dort an, um dann alle Dinge, die noch benötigt wurden, in der Stadt zu kaufen.
Das Wochenende hatten wir frei und Eva und Joshua besichtigten Samaipata, während ich mir eine Pause vom Sightseeing gönnte. Am Montag ging es dann los mit unserer Arbeit in der Plataforma. Wir wurden jeden Tag um 8.15 Uhr von Naciras Mann abgeholt und die ca. 10 min zur Plataforma gefahren. Dort starteten wir um 8.30 Uhr mit der Behandlung. Meistens saßen schon 5 bis 10 Leute im Wartezimmer, wenn wir ankamen. Je nachdem wie viele Patienten da waren, machten wir zwischen 12 und 13 Uhr Mittagspause. Wir bekamen zusammen mit den Kindern Essen in der Plataforma und für uns wurde sogar immer extra eine große Portion vegetarisch gekocht. Meistens arbeiteten wir bis 16 Uhr weiter. Am zweiten Tag gab leider die Turbine ihren Geist auf, weshalb wir nur noch PZRs und Extraktionen anbieten konnten und alle Patienten, die Füllungen benötigten, erstmal vertrösten mussten. Deshalb arbeiteten wir am Dienstag und am Mittwoch nur bis mittags und fuhren nachmittags in die Innenstadt und nach Cotoca. Direkt vor unserer Unterkunft fuhr ein Bus in die Innenstadt, man braucht ca. 30 min ins Zentrum.
Am Mittwochnachmittag wurde die Einheit repariert und danach funktionierte sogar die Wasserkühlung wieder. Donnerstag und Freitag konnten wir wieder ganz normal arbeiten. An den langen Tagen behandelten wir ca. 20 Patienten pro Tag, an den kurzen nur ca. 10. Hauptsächlich machten wir Füllungen und PZRs mit Flouridierung. Wir zogen aber auch 22 Zähne in dieser Woche und trepanierten 2 Zähne und schickten die Patienten zu einem bolivianischen Zahnarzt bzw. klärten sie auf, dass sonst nur eine Extraktion bei uns möglich wäre. Da viele Kinder, die in der Plataforma zu Essen bekamen, bei uns vorbeikamen, behandelten wir dort viele Kinder, aber auch einige Mütter und Väter oder Leute, die durch Werbung von uns erfahren hatten. Die Kinder hatten häufig sehr schlechte Zähne, sodass schon bei sehr jungen Kindern die Milchzähne gezogen werden mussten. Da die Mitarbeit der Kinder aber nicht immer dafür ausreichte, versorgten wir die Zähne auch häufig provisorisch mit GIZ. Sehr zu empfehlen ist bei Kindern mit vielen Läsionen auch Kariesstop, wie wir später feststellten. Abgesehen davon, dass die Wasserkühlung teilweise nicht funktionierte und der Stuhl nicht verstellbar war, funktionierte die Behandlung einwandfrei und wir hatten kaum Probleme. Auf Grund unserer mäßigen Spanischkenntnisse war es außerdem sehr hilfreich, dass Freddy (ein Arzt vor Ort, der gerade Deutsch lernt) uns an manchen Tagen zum Übersetzten zur Seite stand. Das schlimmste für uns waren die traumatisierten Kinder, die stark zerstörte Milchgebisse hatten und sich leider nicht oder nur schwer behandeln ließen. Bei den meisten Kindern wäre wohl eine Komplettsanierung in ITN nötig gewesen.
Nach 1 Woche in der Plataforma flogen wir am Samstag weiter nach Sucre, wurden dort wieder von Hostelling abgeholt und in die Unterkunft gebracht, wo wir von Arturo empfangen wurden. Arturo spricht Englisch, schien aber sehr genervt, dass unser Spanisch nicht so gut war. Es ging dann sehr zügig zum Dentalshop, wo wir alle Materialien für das Dentomobil einkauften. Da wir das erste Team dort sein würden, mussten wir etwas mehr einkaufen. Wir übernachteten eine Nacht in Sucre, in der eher muffigen Unterkunft und fuhren danach weiter mit dem Bus nach Presto. In Presto kamen wir abends um 19.00 Uhr an und leider holte uns niemand vom Busbahnhof ab. Wir kontaktierten Arturo, der Rafael (den Verantwortlichen für Presto) nicht erreichte. Also sollten wir die Dorfbewohner nach Mario Mustacho fragen, bei dem wir offensichtlich untergebracht sein sollten. Jeder wies uns einen anderen Weg und es dauerte ca. 1 Stunde, bis wir endlich das Haus von Mario Mustacho fanden. Dort wurden wir von einer älteren Dame begrüßt und bekamen jeder ein Einzelzimmer, Essen mussten wir uns leider selbst suchen. Da Rafael offensichtlich nicht rechtzeitig in Presto angekommen war, kümmerte sich am nächsten Tag dann erstmal Francesco um uns. Er organisierte uns ein Frühstück bei Eduardo (der Besitzer eines Restaurants am zentralen Platz) und ging danach mit uns in die Klinik. Dort wurden wir der Klinikchefin Dra. Carla, dem Klinikmanager Marcello und der Zahnärztin Marion vorgestellt (alle sprachen nur Spanisch). Unser Spanisch war leider sehr dürftig und so verstanden wir nur die Hälfte von dem, was Dr. Carla in schnellem und monotonem Spanisch erzählte. Wir verstanden aber so viel, dass wir direkt weiter nach Tomoroco (einem Nachbardorf) gebracht werden sollten, wo wir eine Woche in der Klinik behandeln sollten. Wir fuhren weiter nach Tomoroco und besichtigten dort die Klinik. Leider funktionierte die Turbine und die Wasserkühlung nicht, weshalb uns das Dentomobil vor die Klinik gestellt wurde. Die Einheit im Dentomobil funktionierte einwandfrei, außer dass man den Stuhl nicht verstellen konnte und die Lampe nicht funktionierte (mit einer Stirnlampe war das aber kein Problem). Übernachten würden wir in den neu gebauten Corona-Zimmern hinter der Klinik. Jeder bekam sein eigenes Zimmer mit Spülbecken und eigenem Bad, in manchen Zimmern standen sogar noch die Infusionsständer neben dem Bett. Daraufhin drehten wir mit Dra. Carla, Dra. Marion und Francesco eine Runde durchs Dorf und besuchten die Schule. Mit dem Schulleiter wurde abgeklärt, dass wir den Kindern vorgestellt werden sollten und die Kinder dann mir ihren Eltern zu uns kommen sollten. Der Schulleiter schien erst nicht zu verstehen, warum das nötig sei, aber wie Dra. Marion sagte: »Es gibt hier kein Kind ohne Karies…« Nach unserem Spaziergang durchs Dorf hatte jeder Bewohner mitbekommen, dass wir da sind und so war das »Wartezimmer« schon voll als wir mit der Behandlung begannen. In Tomoroco gab es sehr viel indigene Bevölkerung – die Quechua -, die teilweise kein Spanisch sprachen. In der Klinik arbeitete zum Glück eine Krankenschwester, die für uns von Quechua auf Spanisch übersetzte. Die Mundhygiene der Menschen dort war noch wesentlich schlechter als in Santa Cruz. Die meisten älteren Menschen hatten nur noch Wurzelreste oder stark gelockerte Zähne. Teilweise hatten schon die 20-Jährigen eine so starke PA, dass die Zähne einen Lockerungsgrad 2 hatten. Viele 6er und 7er waren auch bei den jungen Menschen schon so stark zerstört, dass die Krone kaum noch vorhanden war. Die Milchzähne der Kinder waren ebenfalls größtenteils zerstört und hatten häufig Fistel. Kleine Läsionen im Frontzahnbereich und okklusale Karies im Seitenzahnbereich konnten wir häufig noch mit Füllungen versorgen, viele Zähne mussten wir aber auch ziehen. Die Nachfrage in Tomoroco war sehr hoch und viele Patienten kamen auch häufiger, damit wir alle Zähne versorgen konnten. Das Arbeiten im Dentomobil machte sehr viel Spaß und wir hatten mit täglich über 20 Patienten auch immer viel zu tun. Wir behandelten jeden Tag von 8.30 bis 18.00 mit einer Mittagspause von 12.00-14.00. Mittags und abends wurden wir von einer netten Dame aus dem Dorf mit vegetarischem Essen versorgt (meist Reis und Kartoffeln mit Salat, Rotebeete und Karotten). Außer 4 kleinen Tiendas gab es sonst nichts in diesem Dorf, aber die Landschaft drumherum war sehr beeindruckend. Es war auch keine Seltenheit, dass Schweine, Esel oder eine ganze Schafsherde an unserem Dentomobil vorbeilief. Einen Nachmittag nutzten wir, um auf einen Berg in der Nähe zu wandern. Da Presto an sich schon auf 2600m liegt, war es etwas anstrengend, aber die Aussicht war wunderschön. Am Wochenende fuhren wir dann wieder nach Sucre, um dort unsere Aufenthaltsgenehmigung nach 30 Tagen zu verlängern.
Die Woche darauf sollten wir in der Klinik von Presto arbeiten. In der Klinik arbeiteten normalerweise zwei Zahnärzte. Da der eine im Urlaub war, wurde uns dessen Zimmer angeboten. Die Einheit lief einwandfrei, doch seine Instrumente und Materialien durften wir nicht benutzen. Da wir die Woche darauf wieder mit dem Dentomobil unterwegs sein sollten, hatten wir wenig Lust, alles hin und her zu räumen und behandelten deshalb auch in Presto im Dentomobil, das uns wieder vor die Klinik gestellt wurde. In Presto war die Nachfrage geringer als in Tomoroco. Das lag wohl zum einen daran, dass Schulferien waren und sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder den ganzen Tag auf den Feldern arbeiten mussten. Zum anderen waren in Presto sowieso immer zwei Zahnärzte vor Ort, weshalb der Bedarf geringer war. Es kamen trotzdem einige Patienten, wir machten wieder hauptsächlich Füllungen und zogen Zähne. Einige Patienten schickten wir zur Wurzelkanalbehandlung in die Klinik nebenan. Viele Patienten hofften bei uns kostenlose Prothesen und Brücken zu bekommen. Diese Patienten mussten wir leider auch weiter in die Klinik schicken. Leider hatten viele trotzdem einen großen Behandlungsbedarf und Wurzelreste, die gezogen werden mussten, als wir jedoch sagten, es gäbe kein »otros dientes«, wollten sie oft gar nicht behandelt werden. Andere weigerten sich, Zähne gezogen zu bekommen und wollten nur kostenlose Schmerztabletten, weil es ja trotz Schmerzen »noch nicht so schlimm sei«. In Presto waren wir zu dritt in einem Krankenzimmer mit eigenem Bad untergebracht. Allerdings hörte man nachts das Klinikpersonal und die schreienden und stöhnenden Patienten im Nachbarzimmer. Essen bekamen wir jeden Morgen (Bananenshake, Tee und Brot) und Abend (frittierte Puffer mit Reis, Pommes oder Nudeln) von Eduardo, dessen Restaurant ca. 10 min von der Klinik entfernt war. Mittags wurden wir von der Klinik versorgt, klassisch mit trockenem Reis, Kartoffeln und Salat. Außerdem gab es am zentralen Platz in Presto jeden Tag für 2 Stunden gratis WLAN. Ein wahrer Luxus, denn in Tomoroco hatten wir weder WLAN noch Empfang gehabt. Am Wochenende wanderten wir auf die umliegenden Berge und fuhren nach Tarabuco, die nächstgrößere Stadt mit einem großen Markt.
Eigentlich war in der letzten Woche geplant, dass wir mit dem Dentomobil noch einmal in ein anderes Dorf (Pasopaya) fahren würden. Leider wurde uns sehr kurzfristig mitgeteilt, dass es keinen Fahrer gab und kein medizinisches Personal vor Ort und man wisse auch gar nicht, wie man uns dort versorgen solle. Wir waren sehr enttäuscht, da gerade die Arbeit auf den Dörfern uns viel Spaß gemacht hatte und sich sinnvoller anfühlte als vor der Klinik in Presto. Wie wenig wir dort gebraucht wurden, merkten wir gerade in der letzten Woche nochmal. Da viele dachten, wir wären nicht mehr da, kamen kaum noch Patienten vorbei. Aber auch nachdem wir noch einmal eine Runde durchs Dorf gedreht hatten und Werbung gemacht hatten, kamen kaum noch Patienten. Wir hatten nur noch ca. 4 Patienten am Tag und saßen viel vor unserem Dentomobil herum oder versuchten Leute zu überreden, zu uns zu kommen. Das Gefühl nicht gebraucht zu werden deprimierte uns sehr und so freuten wir uns am Ende dann doch etwas auf unsere Heimreise. Von Presto aus wurden wir nach Sucre gebracht und flogen nach Santa Cruz, wo wir nochmal ein paar Nächte in der Unterkunft von Hostelling verbrachten und dann zurück nach Deutschland flogen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine großartige Erfahrung war, unter einfachen Umständen Leute zu behandeln, die teilweise noch nie einen Zahnarzt gesehen hatten. Wir hatten viel Spaß zusammen und es war spannend, eine ganz andere Kultur kennenzulernen und einen solchen Kontakt zu den Einheimischen zu haben. Sicherlich wäre einiges etwas einfacher gewesen, wenn unser Spanisch etwas besser gewesen wäre, da die Kommunikation manchmal schon sehr schwer war. An sich kommt man aber auch mit Grundkenntnissen und ein paar klassischen Zahnarztsätzen echt weit. Die Organisation des Projekts in Deutschland durch Annette und in Bolivien durch Hostelling Bolivia war wirklich gut. Max Steiner, Nacira und Arturo waren immer erreichbar. Probleme mit der Organisation hatten wir nur in Presto, da dies ein völlig neues Projekt war und alles sehr bolivianisch angegangen wurde – Pläne, die kurzfristig doch wieder umgeworfen wurden, halbherzige Werbung, Zusagen, die nicht eingehalten wurden. Wir würden so ein Projekt auf jeden Fall nochmal machen, aber vielleicht kein neues Projekt mehr, sondern eins, bei dem die Abläufe schon etabliert sind.